›Zaghaft berührte ich das Bild … Mein Finger sank zur Hälfte ein!‹

 

Dies ist nur der Beginn eines Abenteuers, das Milas Leben auf den Kopf stellt. Mit den geheimnisvollen Farben aus einem alten Geschäft erschafft sie Gemälde, die lebendig wirken und sie schließlich sogar in eine bizarre Welt hineinziehen. Dort begegnet sie Cale, der eine fast unwiderstehliche Anziehungskraft auf sie ausübt. Er ist an diesen magischen Ort gebunden und Mila setzt alles daran, ihn zu befreien. Doch in ihrem Leben lauert ein Schatten, der sie bis in die Welt des Farbenzaubers verfolgt.

 

Ein romantisches Werk, das die Fantasie anregt und für Herzklopfen sorgt. 

 

 

Falling - Farbenzauber
Genre: Fantasy-Romance
Verlag: O'Connell Press

Idee: Tanja Bern & Pierre Petermichl
ISBN: 978-3945227602

 

erhältlich als

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Leseprobe 

 

 

Eisiger Wind wehte mir ins Gesicht und ich schlug den Kragen meiner Jacke hoch. Ich verbarg mich so gut wie möglich hinter dem warmen Stoff. Vereinzelte Schneeflocken wirbelten durch die Luft und setzten sich in die Ritzen des Bürgersteigs. In einem Schaufenster sah ich, dass mein Haar unter der Mütze hervorquoll. Leise fluchend stopfte ich mir die braunen Locken wieder unter die Wollmütze.

„Ich sehe mit dem Ding total affig aus“, murmelte ich und betrachtete argwöhnisch den Bommel. Aber irgendwie trugen jetzt alle solche Mützen, Bommel waren modern. Ich schnaubte leise und wollte schon weitergehen, als ein silbriges Blau in der Auslage des Geschäftes meine Aufmerksamkeit erregte.

Was war das für ein alter Laden? Verwundert trat ich einen Schritt zurück, las oben den Geschäftsnamen: Simons Plunderladen.

Das sagte mir gar nichts, das Geschäft war mir noch nie aufgefallen, obwohl ich hier so oft vorbeiging. Wieder sah ich in das Schaufenster. Zwischen alten Büchern, kitschigen Lampen und Schmuckstücken standen einige Farbtöpfe aus durchsichtigem Material, sodass man den Inhalt gut erkennen konnte.

Wie Wasser, dachte ich fasziniert, als ich die blaue Farbe näher betrachtete.

In Gedanken schwelgte ich längst in dem Bild, das ich mit dieser besonderen Farbe malen würde. Ich sah bereits die entstehenden Schattierungen, fühlte den dünnen Holzstiel des Pinsels in meiner Hand. Die Straße und ihre Passanten verblassten, für einen Augenblick war ich in meiner eigenen Welt wie gefangen …

„Hier bist du!“

Ich erschrak so heftig, dass ich mit dem Kopf gegen das Fenster prallte und einen leisen Schrei ausstieß. Ich starrte meine Freundin Laurie böse an. „Irgendwann bist du mal schuld, wenn ich an einem Herzinfarkt sterbe.“

Sie lachte vergnügt, wuschelte sich durch die violette Kurzhaarfrisur und hakte sich bei mir unter. „Ach komm, Mila. Den Infarkt kannst du auch noch mit achtzig kriegen.“ Sie grinste frech. „Jetzt gehen wir erst mal Eis essen.“

Blinzelnd schaute ich in den Himmel. Das Schneetreiben wurde heftiger, die Flocken setzten sich überall auf unserer Kleidung fest. „Eis essen … Hast du hier nicht genug?“ Ich tippte ihr auf die Nasespitze, wo gerade eine Schneeflocke schmolz.

„Da fehlt der Zucker, Süße. Ich spendier dir aber gerne eine Waffel.“

„Darüber lässt sich reden“, antwortete ich mit einem Schmunzeln und ließ mich in das Eiscafé um die Ecke zerren.

Drinnen empfing uns wohlige Wärme. Ich zog mir die Winterjacke aus, hängte sie an die Garderobe. Aus den Musikboxen dudelte Gitarrenmusik und Amando lächelte uns freundlich an. Er kam hinter der Eistheke hervor und brachte uns die Karten, obwohl wir immer dasselbe nahmen, zumindest zu dieser Jahreszeit. Laurie bestellte prompt ihren Schokobecher. Ich überlegte kurz, ob ich die Waffel mit oder ohne heiße Kirschen wollte und nahm schließlich das Komplettpaket. Laurie plauderte drauf los und ich lauschte ihrem Tratsch. Ich liebte es, ihr zuzuhören.

„Und stell dir vor! Er hat sie nicht mal angerufen! Nur eine blöde SMS hat sie gekriegt.“

„Sie haben doch eh nur übers Handy kommuniziert. Wundert dich das wirklich?“

Laurie zog die Stirn kraus, sie machte einen Kussmund und schüttelte mit einem Seufzen den Kopf. „Die Romantikerin in mir findet so was nur absolut … bah!“

„Seit wann bist du denn romantisch?“

Ein verträumter Ausdruck trat in ihr Gesicht. „Seit ich Tim jetzt endlich mal getroffen habe.“

„Echt? Und, wie ist er?“

Ich wusste, dass Tim einer ihrer Gamepartner war, bisher hatten sie sich nur über einige Computerspiele und Chats gekannt.

„Er ist blond, so groß wie ich und hat graue Augen. Sieht wirklich aus wie auf dem Bild. Na ja, ich hab ihn mir größer vorgestellt, ich bin mit ihm auf Augenhöhe, aber ist egal. Außerdem kann er Jack Sparrow nachahmen. Du müsstest mal seine Synchronisation von ›Fluch der Karibik‹ hören. Das ist so toll!“

„Hat er den ganzen Film eingesprochen?“, hakte ich verwundert nach, aber Laurie verneinte, berichtete mir von den Szenen, die Tim ausgesucht hatte. Irgendwann schweiften meine Gedanken ab, und ich dachte wieder an die silberblaue Farbe in Simons Plunderladen. Eigentlich war sie total unauffällig gewesen. Ein schlichter Deckel, ein durchsichtiges Kunststofftöpfchen, aber die Farbe schimmerte daraus hervor, als wäre sie verzaubert.

„Du träumst, Mila“, beschwerte sich Laurie und ich versuchte, mich wieder auf unser Gespräch zu konzentrieren.

Amando brachte das Eis und die Waffel. Ich genoss unseren Besuch im Eiscafé. Ein paar Mal suchte Amando unsere Blicke, versuchte wieder einmal zu flirten, und wir gingen wie immer nicht darauf ein. Er war süß, keine Frage. Aber der Schuft war verheiratet und seine italienische Frau würde uns den Garaus machen. Wir kicherten wie kleine Mädchen, als wir uns ausmalten, mit welchem Eiswerkzeug uns Amandos Liebste wohl zur Strecke bringen würde, wenn wir seinen Flirtversuchen nachgäben.

Ich fuhr mir durch die Haare und blieb mit den Fingern darin hängen, weil die Feuchtigkeit und das Hineinstopfen in die Mütze ein wüstes Durcheinander aus ihnen gemacht hatten. Ich gab seufzend auf und drehte dafür eine meiner Locken um den Finger. Wenn ich sie langzog, reichte sie mir tatsächlich bis über die Brust. Die Betonung lag auf langziehen. Die Locke löste sich aus meinem Griff und sprang zurück in Richtung Schulter.

Als es dämmerte, verabschiedeten wir uns voneinander. Die Straßen leerten sich zusehends, auch die Geschäfte begannen bereits zu schließen. Ich hastete zu dem Krimskramsladen. Laut den Öffnungszeiten hatte ich noch zehn Minuten. Ich drückte entschlossen die Tür auf. Zwielicht empfing mich. Auf unzähligen Holzregalen stapelten sich die unterschiedlichsten Dinge. Ich kam mir zuerst wie in einem Fundbüro vor, doch dort hätte nicht alles so chaotisch in den Regalen gelegen.

Dunkle Holzvertäfelungen bedeckten Wände und Decke, es roch nach Büchern. Ein alter Mann saß hinter der Ladentheke, sortierte allerhand Kleinkram. Als ich nähertrat, sah er auf. Ich grüßte leise und er nahm die Lesebrille ab, um mich zu begutachten. Mit einem Ächzen richtete er sich auf. Sein Gesichtsausdruck wirkte skeptisch. Brummig erwiderte er meinen Gruß. Mich überkam das Gefühl, dass sich hier nicht oft Kundschaft einfand.

„Ich habe im Schaufenster diese Farbe gesehen und würde sie gerne kaufen. Ob sie noch zu gebrauchen ist?“ Ältere Farben waren oft eingetrocknet und dem wollte ich vorbeugen.

„Die … Farbe?“, fragte der Alte heiser.

„Ja, die Blaue, die so einen Silberschimmer hat.“

Mit geweiteten Augen beobachtete er mich, ging dann um die Theke herum und kam auf mich zu. „Ich hole sie“, sagte er mürrisch.

Er räumte einige Regalwände zur Seite um an das Schaufenster zu kommen, zögerte kurz, und griff dann nach dem Farbtopf. Der Behälter war so groß wie eine Kaffeetasse. Nun verharrte der Alte vor mir. Das graue Haar stand ihm vom Kopf ab und er zog die Stirn in Falten, als müsse er erst darüber nachdenken, ob er die Farbe wirklich verkaufen wollte. Er rührte etwas in mir, ein kleiner Stich fuhr mir ins Herz, denn ich dachte an meinen Großvater, der im letzten Jahr gestorben war. Von ihm hatte ich das Maltalent geerbt. Opa hätte solch eine Farbe, aber besonders dieser Laden hier, gut gefallen.

Schließlich reichte der Verkäufer mir den Farbtopf und zeigte an, dass ich hineinschauen konnte. Vorsichtig schraubte ich den Deckel ab und blinzelte dann verblüfft auf den Inhalt. Die Farbe changierte zwischen mehreren Blautönen, ein silberner Strom zog sich durch die unterschiedlichen Schattierungen, als fließe ein Fluss direkt hindurch.

„Haben Sie davon noch andere?“, fragte ich fasziniert, ohne den Blick abzuwenden.

„Hinten. Einen Moment.“

Der Mann − hieß er Simon, wie der Laden? − kam nach einiger Zeit zurück und stellte zuerst ein Rot hin, von dem ich dachte, es sei Blut. Dazu kamen ein schimmerndes Weiß, ein Gelb, das wie ein purer Sonnenstrahl wirkte, und ein Grün, dessen Behälter ich erstaunt in die Hand nahm. In ihm schien Perlenstaub oder etwas Ähnliches eingearbeitet zu sein. Ich kannte Glitzertöne und auch Farben, die wie Perlmutt schimmerten. Dies hier war definitiv anders und nur schwer zu beschreiben. Überall fand sich der silbrige Strom, der sich zu bewegen schien, wenn man ihn nur aus dem Augenwinkel heraus betrachtete.

„Was kostet das alles?“, fragte ich atemlos vor Entzücken.

„Nehmen Sie es einfach so mit. Ich … finde da keine Käufer für.“

Verblüfft starrte ich ihn an. Diese Farben mussten teuer gewesen sein und er wollte sie mir umsonst geben? Wo verbarg sich der berüchtigte Haken? „Das geht nicht“, erwiderte ich entschieden.

Fast widerwillig nannte er mir einen Preis, der den Farben überhaupt nicht gerecht wurde. Ich zahlte und ließ mir alle in eine braune Papiertüte einpacken. Aufregung durchströmte mich. Ich konnte es kaum erwarten sie auszuprobieren, sie zu mischen, den ersten Strich auf der Leinwand zu malen.

„Mädchen?“ Ich wandte mich noch einmal um. „Sei vorsichtig damit.“

Vorsichtig? „Wie meinen Sie das?“

„Diese Farben … Ich glaube, sie sind … besonders. Geh damit nicht leichtfertig um.“

Verwundert sah ich ihn an. Ich nahm hin, dass er die förmliche Anrede hatte fallen lassen und nickte mechanisch. Dann setzte er sich wieder auf den Stuhl und sortierte weiter seine Waren auf der Theke.

Nachdenklich ging ich nach Hause. Als ich unsere Auffahrt hochlief, stolperte ich fast über das Fahrrad, das meine Schwester ziemlich dämlich hinter den Zaun gestellt hatte. Der Schnee bedeckte bereits die Wiese vor dem Haus, nur ein paar Grasbüschel lugten noch daraus hervor. Unsere alte Schaukel knarrte im Wind. Dad brachte es einfach nicht über sich, sie abzumontieren, als wolle er unsere Kindheit mit aller Macht noch festhalten.

Ich schloss auf und schlüpfte in den Hausflur. Meine Jacke hängte ich an einen der Garderobenhaken. Während ich meine Stiefel auszog, sah ich mich argwöhnisch um. Es wäre besser, meiner Schwester Kiara aus dem Weg zu gehen. Wir verstanden uns nicht besonders gut und sie würde nur wieder über meinen Einkauf lachen. Auch wenn ich nun volljährig war, also drei Jahre älter als Kiara, jagte mir ihr Hass auf mich eine seltsame Angst ein. Vorsichtshalber war mein Zimmer immer abgeschlossen, da ich nie wusste, ob sie sonst etwas zerstören würde.

Meine Eltern arbeiteten noch. Aber Kiara saß im Wohnzimmer, die Füße auf die Tischkante gestellt, und zockte irgendein Spiel. Den Geräuschen nach zu urteilen, tötete sie gnadenlos Zombies und andere Monster. Noch bemerkte sie mich nicht. Also schlich ich in die Küche, suchte etwas Essbares und lief die Treppe zu meinem Zimmer hinauf. Tiger, unser dicker Kater, kam wie ein Kamikazeflieger heruntergerannt. Ich konnte ihm gerade noch ausweichen und rutschte aus, polterte laut auf die Stufen. Mein Essen konnte ich zum Glück auffangen. Tiger verschwand mit aufgeplustertem Fell hinter einer Flurecke.

„Das hast du doch mit Absicht gemacht“, zischte ich ihm zu.

„Mila? Bist du das?“, rief Kiara und ich hoffte, sie blieb im Wohnzimmer.

„Ja, Tiger hat mich nur über den Haufen gerannt.“

Gelächter ertönte aus dem anderen Raum. „Braves Katertier“, hörte ich Kiara sagen.

Mir lag ein Schimpfwort auf der Zunge, aber ich schluckte es runter. Die Farben waren teilweise aus der Tüte gepurzelt und ich klaubte sie rasch zusammen, hechtete die Stufen hoch, bevor mir noch jemand in die Quere kam. Vorsichtshalber verriegelte ich von innen meine Tür und ließ mich mit einem Seufzen auf das Bett fallen. Es piepste leise und ich erinnerte mich an mein Handy, das vergessen auf dem Nachttisch lag. Ich schaute kurz auf die Nachrichtenleiste, erspähte sagenhafte zwanzig Benachrichtigungen, und legte das Smartphone rasch wieder weg.

Meine Fingerspitzen strichen über die Farbdeckel in der Papiertüte, ich fühlte mich von ihnen wie magisch angezogen. Rasch band ich meine braune Lockenflut zurück und warf einen Blick in den Spiegel. Meine Wangen waren noch gerötet von der Kälte. Manchmal verfluchte ich meine sommersprossige Haut, aber sie passte auch zu mir.

Ich stellte die Leinwand auf, legte meine Hand auf das wunderbare Papier. Meine Augen schlossen sich und ich huldigte meinem Ritual, indem ich mir das fertige Bild vorstellte, das mir im Kopf herumspukte. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Eigentlich musste ich noch für die Mathe-Klausur lernen, schob das aber weit von mir. Noch hatten wir Winterferien.

Ich legte die Farben bereit, überlegte, was sie mir sagen wollten, und begann eine Skizze mit Bleistift vorzuzeichnen.

Wasser, dachte ich, das von einem Felshang fällt.

Das besondere Blau benutzte ich als erstes. Es ließ sich perfekt auf die Leinwand aufbringen. Falls die Farben wirklich schon älter sein sollten, merkte man es ihnen nicht an. Fast wie von selbst bildete sich unter meiner Pinselführung ein Wasserfall, der durch den Silberschimmer so magisch aussah, dass ich hinterher selbst ehrfürchtig davorstand.

Es klopfte leise und ich schrak auf.

„Mila, Schatz, kommst du runter zum Abendessen?“

Abendessen? Wie lange hatte ich schon gemalt? Ich warf einen Blick auf die Uhr und war erstaunt − fast zwei Stunden. Ich legte die Malutensilien beiseite und öffnete meiner Mutter die Tür. Ihr mildes Lächeln ließ mich ihren Ausdruck erwidern. Ich küsste sie sachte auf die Wange.

„Ich muss mir nur noch die Hände waschen, dann komm ich.“

„Oh, malst du wieder? Was wird es denn …? Wow! Das sieht ja genial aus.“ Mum kam ins Zimmer und betrachtete meinen Wasserfall, der mir selbst so lebensecht vorkam, dass ich darüber nachdachte, ob es die Farbe war oder tatsächlich meine Kunstfertigkeit, die das Bild so aussehen ließ.

„Ich hab heute in Simons Plunderladen besondere Farben ergattert. Natürlich fehlen noch die Felsen, das Moos und die Steine im Wasser, aber es wirkt schon, oder?“

„Absolut! Das sieht wirklich magisch aus.“ Mum kam näher, nahm sich den Farbtopf und betrachtete das besondere Blau. „Aus Simons Plunderladen, sagst du?“

„Ja, ich hab die Farbe bei ihm im Schaufenster gesehen. Der Verkäufer war ganz schön brummig.“

„Der alte Simon hat’s glaube ich auch nicht leicht.“

Ich wollte Mum fragen, was denn mit dem Mann sei, aber Kiara unterbrach uns.

„Gafft ihr wieder die Bilder an?“, brüllte sie von unten. „Ich hab Hunger!“

Meine Mutter und ich wechselten einen vielsagenden Blick. Wir kamen dem Ruf meiner Schwester nach und gingen hinunter in die Küche. Das Abendessen zog sich wie Kaugummi, es gab Grünkohl und ich stocherte darin herum. Kiara aß das Gericht sehr gerne, da war sie sich mit Dad einig. Ich würgte es hinunter, um Mum nicht zu enttäuschen.

„Bleibst du auch zum Fernsehen, Mila?“, fragte mein Vater, um die Stille zu überbrücken.

„Die panscht wieder mit Farben rum, da kommt sie eh nicht“, lästerte Kiara.

Ich verzog das Gesicht. „Besser, als immer nur am Handy zu zocken.“ Ich handelte mir einen schmerzhaften Tritt ein.

Eigentlich wollte ich nur zurück zu meinem Bild. Ich wollte darin versinken, mich darin verlieren. Mich packte eine seltsame Sehnsucht. Als endlich alle fertig waren, stapelte ich die Teller und trug sie in die Küche. Kiara hatte aufdecken müssen, also musste ich den Abwasch erledigen. Gewissenhaft spülte ich die Teller, das Besteck und die Töpfe, träumte von dem Wasserfall, der sich erneut in meine Gedanken stahl. Ob dort jemand verweilen sollte?

„Komm, geh ruhig weitermalen, ich trockne das ab“, bot Mum an.

„Danke!“, hauchte ich, wrang den Spüllappen aus und legte ihn ordentlich über den Wasserhahn, damit er trocknen konnte. Das schaumige Spülwasser verschwand gluckernd im Ausguss. Ich schaute kurz ins Wohnzimmer. Der Fernseher lief bereits. Dad saß entspannt mit einer Flasche alkoholfreiem Bier davor und Kiara hatte sich an seine Schulter gelehnt. Ich flüchtete vor dieser augenscheinlichen Idylle, stahl mich davon und nahm zwei Stufen auf einmal, um rasch in mein Zimmer zu kommen. Doch bevor ich den ersten Pinselstrich machen konnte, kratzte es an der Tür. Schmunzelnd ließ ich Tiger rein, der sofort auf das Bett sprang und sich dort in die Decken schmiegte.

„Na, Dickerchen? Du weißt, wo du es guthast, was?“ Ich streichelte ihm durchs Fell und lauschte seinem Schnurren, was ich sehr beruhigend fand.

Wieder dachte ich daran, dass auf diesem Bild jemand sein sollte.

Als warte er auf mich.

Ich zeichnete den Strom zu Ende, mischte einige Töne, um den Felshang und einige Steine im Wasser zu zeichnen. Danach widmete ich mich dem Grün, das mich in Simons Plunderladen so fasziniert hatte. Ich dunkelte es ab und malte Moos, Algen und Flechten, die sich perfekt in das Bild einfügten. Fast hörte ich den Wasserfall rauschen, fühlte seine Gischt auf mir.

Ich blinzelte, trat einen Schritt zurück. Die Gischt … Ich hatte sie wirklich gespürt! Verwirrt fuhr ich mir über das Gesicht, es war feucht, aber ich schwitzte so gut wie nie. Irritiert betrachtete ich das Kunstwerk und wusste, dass noch ein Detail fehlte. In den Felshang malte ich nun eine düstere Höhle, deren Eingang von dunkelgrünen Flechten bedeckt war.

Das Malen war wie ein Zwang, ich konnte nicht aufhören, aber ich ließ es auch willig zu.

Nun wechselte ich den Pinsel, nahm einen feineren, und skizzierte den Umriss einer Gestalt. Ihre Kleidung hob sich vom dunkleren Wasserstrom ab, schwarzes Haar fiel ihr ins Gesicht, verdeckte es.

Ein junger Mann, dachte ich.

Meine Hand und der Pinsel bildeten eine Einheit, erschufen eine immer lebendigere Darstellung des Fremden. Dessen Fingerspitzen ließ ich nun in den Fluss eintauchen.

Ich griff nach dem Gelb, das mir nun wie Gold erschien, und malte sphärische Sonnenstrahlen, die durch den Nebel der Gischt strahlten. Einige Kleinigkeiten besserte ich noch aus, dann trat ich zurück.

Es war stockdunkel draußen. Mein Nacken schmerzte und ich lockerte meine Hand, weil ich den Pinsel zum Schluss so verkrampft gehalten hatte. Das Bild war wunderschön. Im Licht meiner Deckenlampe schien sich das Wasser zu bewegen. Ich blinzelte vor Müdigkeit.

Die Farben des Gefälles waren bereits getrocknet, ich sah es an dem matten Schimmer. Zaghaft berührte ich dort das Bild, strich vorsichtig über den Silberstrom, und kam an eine feuchte Stelle. Mein Finger sank zur Hälfte ein!

Erschrocken zog ich die Hand zurück. Mein Herz raste. Ich umklammerte meine Rechte und starrte auf mein Gemälde. Aus dieser Entfernung sah ich, dass der Wasserfall eindeutig über den Felshang floss. Zwar lautlos, aber der Strom wirkte so lebendig, als schaute ich durch ein Fenster.

„Ich träume doch.“ Erst einmal wagte ich mich nicht näher an das Bild, rieb mir über die Augen. Der Eindruck der sich bewegenden Farben verschwand nicht.

Komm zu mir, flüsterte es in mir.

Einen Moment fühlte ich mich wie gelähmt. Dann tapste ich einer Marionette gleich zu meinem Gemälde, streckte die Hand aus. Als wäre ich in Trance, wehrte ich mich nicht gegen diesen Sog. Meine Fingerspitzen legten sich auf das Bild. Mein Arm versank darin. Das konnte doch nur eine Halluzination sein. Dann konnte ich mich nicht mehr halten, weil mich etwas in das Gemälde zog. Ich schrie auf. Mein Zimmer verschwand und ich wurde in Dunkelheit gehüllt.

 

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© Tanja Bern