Ein Familiengeheimnis in Cornwall

Als Samantha einen förmlichen Brief erhält, der sie in den Süden Englands zitiert, denkt sie zuerst an einen Scherz. Was will eine adlige Familie aus Cornwall von ihr? Doch die Neugierde siegt. Auf dem Weg nach Seynford Hall begegnet Samantha Dave, aber das Treffen läuft mehr als unglücklich, und sie setzt ihre Reise schnell wieder fort. Wenig später steht sie dann endlich Adalind Seynford gegenüber. Die ältere Dame scheint nichts von dem ominösen Anwaltsbrief zu wissen und verweist den ungebetenen Gast unfreundlich des Hauses. Es scheint sich alles gegen sie verschworen zu haben. Bis Mrs Seynford plötzlich in ihrer Pension auftaucht und ihr ein Geheimnis anvertraut, das Samantha zutiefst erschüttert. Doch was ist damals wirklich geschehen? Bei der Suche nach Antworten trifft Samantha Dave wieder, der mehr damit zu tun hat, als sie ahnt ...

 

 

Das Geheimnis von Seynford Hall

Genre: Familiengeheimnis/Romance
Verlag: Bastei Lübbe

 

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Leseprobe

 

 

Der Regen prasselte an die schmutzige Scheibe der Werkstatt. Samantha konnte die Häuser auf der gegenüberliegenden Straße nur schemenhaft erkennen. Es fiel ihr schwer, den Blick abzuwenden. Diese verschwommene Sicht glich so sehr ihrem Gefühlszustand, dass ihr ein Schauder über den Rücken lief.

Etwas klirrte und schreckte sie auf. Ein Fluch hallte durch den großen Raum.

Sie blinzelte und schüttelte rasch ihre trüben Gedanken ab. „Du sollst das Werkzeug benutzen und nicht durch die Gegend werfen“, rief sie Greg zu.

Der ältere Mann zog eine Grimasse und steckte seinen Kopf wieder in den offenen Motorraum des verbeulten Pick-Up. Samantha grinste und zog sich die Werkzeugkiste heran, um sich den Radmutternschlüssel zu holen, damit sie die Bolzen an dem alten Ford festziehen konnte. Als sie sich dem ersten Rad widmete, spürte sie, dass jemand hinter sie trat.

„Ganz schön frech für ‘ne kleine Kellnerin“, raunte Ricardo.

Sie würde sich nicht wieder von ihm provozieren lassen. „Lass mich arbeiten. Stell lieber schon mal das Bier kalt.“

Gekonnt zog sie einen der Bolzen fest und würdigte den jungen Mann keines Blickes.

Ohne Vorwarnung rempelte er sie an, zog ihr gleichzeitig das Basecap herunter. Samantha stieß unsanft mit dem Kopf gegen den Radkasten. Sie atmete tief durch, richtete sich auf und funkelte ihn an. Er wedelte mit ihrer Kappe herum, als käme er geradewegs aus dem Kindergarten.

„Na, Sam? Jetzt guckst du aber, was?“

Er war attraktiv, keine Frage. Breite Schultern, muskulöse Arme und dichte dunkle Locken – ein Erbe seiner süditalienischen Vorfahren. Aber Samantha fand ihn einfach nur albern. Sein Machogehabe und seine plumpe Anmache gingen ihr auf die Nerven. Greg kam näher, doch sie hielt ihn mit einer Geste zurück. Sie richtete sich auf und lächelte Ricardo verführerisch an. „Du möchtest es sehen, oder? Mein Haar …“

Er lachte, und seine dunklen Augen blitzten.

Aus dem Augenwinkel sah sie, dass Greg in der Nähe blieb. Sie warf ihm einen Blick zu, er runzelte die Stirn. Mit einem Handgriff löste sie das Gummi, das ihre langen hellblonden Haare in einen unordentlichen Dutt zwang. Sie fühlte, wie die zerzausten Strähnen ihr bis auf den halben Rücken fielen.

„Gefalle ich dir so besser, Ricardo?“, gurrte sie.

Er wich zurück und musterte sie misstrauisch. „Was hast du vor?“

Mit zwei schnellen Schritten stand sie vor ihm. Er war einen halben Kopf größer als sie. Ohne zu zögern, fasste sie ihm in den Schritt und kniff zu. Ricardo starrte sie wortlos an.

„Mein Lieber, wenn du deine Eier noch ein bisschen behalten willst, dann lass künftig solche Spielchen bei mir, okay?“ Samanthas Stimme klang zuckersüß, sie lächelte noch immer.

Ricardo fiel ihr Basecap aus der Hand. Er nickte rasch und keuchte auf, als sie noch ein wenig fester zupackte.

„Okay?“, wiederholte sie.

„Klar, okay!“, presste er hervor.

Sie ließ ihn los. Er taumelte drei Schritte zurück und legte die Hand schützend auf seine Körpermitte. Greg lachte so sehr, dass er sich an die Werkbank lehnen musste.

„Und jetzt stell das verdammte Bier kalt“, sagte Samantha.

Ricardo schnaubte und schlich in Richtung Aufenthaltsraum.

Samantha nahm ihr Haar wieder zusammen und schlang es mit dem Gummi zu einem Dutt. Sie langte nach ihrer Kappe, setzte sie auf und griff nach dem Werkzeug.

Greg betrachtete sie nachdenklich.

„Er wird trotzdem nicht aufhören“, sagte sie mit einem Seufzen.

„Er will halt bei dir landen.“

„Er hat ‘ne komische Art das zu zeigen. Man könnte meinen, er ist noch voll in der Pubertät.“

„Tja, es gibt so Spätzünder.“

Samantha prustete belustigt und fuhr mit ihrer Arbeit fort.

 

Etwas später, in der Pause, schaute Samantha wieder aus dem Fenster. Hier im Aufenthaltsraum waren die Scheiben nicht so verschmiert wie in der Werkstatt. Das Regenwasser floss in Bächen durch die Straßen von Birmingham. Nur sehr wenige Leute trotzten hier in der Seitengasse dem Wetter. Samantha beobachtete, wie einem Mann von einer Bö fast der Schirm aus der Hand gerissen wurde.

Die Bierflasche fühlte sich eiskalt an, als sie danach griff. Samantha fröstelte leicht. Die dumme Anmache von Ricardo beschäftigte sie mehr, als sie zugeben wollte. Warum konnte sie nicht mal einen vernünftigen Mann kennenlernen? Gab es in ihrem Alter tatsächlich nur Idioten?

Sie warf Greg einen Blick zu. Er lächelte sie väterlich an und fuhr sich durch das schüttere Haar, als sei es ihm unangenehm, dass sie ihn ansah, deshalb wandte sie sich ab.

Als Ricardo hereinkam und zum Kühlschrank ging, trank sie rasch ihr Bier aus und stand auf. Auf noch so eine Begegnung mit ihm konnte sie gut verzichten. Er ließ sich nicht leicht abwimmeln, und er hatte wirklich eine ziemlich nervige Art, sich an Frauen heranzumachen.

Samantha stellte die leere Flasche zurück in den Getränkekasten und ging zurück in die Werkstatt. Eigentlich mochte sie Bier nicht besonders, lieber trank sie Mixgetränke, aber in dieser Männerwelt musste sie versuchen dazuzugehören.

Bei der weiteren Inspektion des alten Wagens ließ Ricardo sie in Ruhe. Sie prüfte noch einige Roststellen und füllte das Kühlwasser auf. Dann klappte sie die Motorhaube zu. Eigentlich war sie keine Automechanikerin. Mr Rowan, der Besitzer der Werkstatt, hatte sie nur als Gehilfin eingestellt, weil sie sich mit älteren Autos auskannte. Vor allem Greg hatte schnell bemerkt, dass sie ein Händchen für Reparaturen hatte und setzte sie seitdem nicht nur zum Kaffee kochen und Putzen ein, wofür sie sehr dankbar war.

„Bist du fertig, Mädchen?“ Mr Rowan gesellte sich zu ihr.

„Ja, ich hab alles gecheckt. Ist auch soweit in Ordnung, bis auf ein paar Roststellen.“

„Wo denn?“

Samantha ging mit ihm um den Wagen herum und zeigte ihm den abgeplatzten Lack.

„Ricardo! Ruf mal den alten Johnson an und sag ihm, der Lack seiner Rostlaube macht am Kühler Probleme. Wir müssen das ausbessern.“

Der junge Mann nickte. „Okay.“

„Kannst für heute Schluss machen, Sam.“ Mr Rowan, ein hochgewachsener Mann mit strohblondem Haar und einer markanten Adlernase, warf ihr ein Lächeln zu.

„Danke, Chef.“ Sie wischte sich kurz die Hände an einem Tuch ab, rückte ihr Basecap zurecht und verabschiedete sich.

 

Als Samantha die Werkstatt verließ, knurrte ihr der Magen. Sie steuerte eine der Fast-Food-Ketten an und holte sich einen Burger. Das Wechselgeld stopfte sie in die Tasche ihrer Cargo-Hose. Unter einem Vordach verspeiste sie hastig ihr Abendessen und stellte dabei fest, dass ihre schmutzigen Hände nach Motoröl rochen. Sie sah den Menschen zu, die auf der Hauptstraße geschäftig ihren Erledigungen nachgingen. Einige kämpften sich mit schweren Einkaufstüten durch das immer noch unwirtliche Wetter, das zurzeit fast überall in England Probleme bereitete. Für September war es zudem ungewöhnlich kühl.

Samantha schaute auf die Uhr. Es blieb noch genug Zeit für eine ausgiebige Dusche, und so eilte sie durch den Regen zu ihrem Zuhause – falls man ihre Wohnung in dem baufälligen Hochhaus so nennen konnte. Sie lief durch die Häuserschluchten, bis das aus rotem Backstein gemauerte Gebäude auftauchte. Der Fahrstuhl hatte hier noch nie funktioniert, und sie musste jeden Tag bis in den achten Stock hochlaufen. Samantha nahm die unzähligen Treppen in Angriff, übersprang immer eine Stufe und joggte hinauf, bis sie schwer atmend vor ihrer Wohnungstür stand. Diesen Flur durchquerte man besser so schnell wie möglich. Sie wusste nie, was sie in diesem Haus erwartete. In der Nähe ertönte Geschrei und Gepolter. Samantha schlüpfte rasch in ihre Wohnung, schloss von innen ab und stellte das Radio an, um die Streitgeräusche, die gedämpft immer noch bis zu ihr drangen, nicht mehr zu hören.

Sie sah sich um. Es fiel ihr schon immer schwer, dies hier als ihr Zuhause anzunehmen, aber seit dem Tod ihrer Mutter verstärkte sich das Gefühl immer mehr. Alles war sauber, die alte Couch hatte sie mit bunten Decken aufgepeppt, und kürzlich hatte sie sich sogar einen neuen Lattenrost für ihr Bett kaufen können, weil der alte furchtbar geknarrt hatte. Wenn sie jetzt noch die neuen Risse in den Wänden zuspachtelte, wäre die Wohnung fast hübsch.

Aber eben nur fast …

Samantha ging zu einem Regal im Wohnzimmer, strich sacht über die dunkelgraue Urne, die dort stand.

„Hallo, Mum“, flüsterte sie. „Ich bin wieder zu Hause.“

Bevor sich ihr Blick vor Tränen verschleierte, wandte sie sich ab und ging ins Bad. Die heiße Dusche würde hoffentlich für den Moment alle Sorgen fortspülen.

Schließlich betrachtete sie sich skeptisch im Spiegel. Etwas in ihr sträubte sich, das übliche Make-up aufzutragen. Ihr war heute nicht danach, die freche, verführerische Kellnerin in Mountain’s Bar zu mimen. Aber sie hatte keine andere Wahl. Von dem Geld aus der Werkstatt konnte sie so gerade die Miete bezahlen.

Sie atmete tief durch, setzte ein Lächeln auf und begann, sich zu schminken. Schwarzer Lidstrich, Wimperntusche, dunkelroter Lippenstift … Samantha versank in dem Gefühl, jemand anderes zu sein.

Sie zog das kurze schwarze Kleid für die Bar an, ihre vorgeschriebene Arbeitskleidung, steckte sich das Haar so auf, dass einige kürzere Strähnen hervorlugten, und warf der Urne ihrer Mutter einen Handkuss zu.

„Ich bin in ein paar Stunden wieder da, Mum.“

Die Tür fiel ins Schloss, und Samantha bereute sofort, dass sie nicht zuerst vorsichtig geprüft hatte, ob die Luft rein war.

Denn dort stand Xavier und rauchte einen Joint, sie erkannte sofort den eklig süßen Geruch des Qualms. Der Mann verstellte ihr den Weg ins Treppenhaus.

„Hola, du siehst ja richtig heiß aus, Süße.“

„Ich muss zur Arbeit.“

Er blies provozierend langsam den Rauch aus.

„Vielleicht gehst du lieber nach draußen.“ Samantha hielt einen sicheren Abstand zu ihm und zeigte nach oben zum Rauchmelder. „Sonst geht der Alarm wieder los.“

Er lächelte nur süffisant, zog an dem Joint und blies den Qualm in ihre Richtung, sodass Samantha ein Husten unterdrücken musste. Er kam näher, Samantha wich noch nicht zurück. Er gehörte zu der Sorte Mann, die es anstachelte, wenn man Angst zeigte.

„Das Outfit gefällt mir viel besser als die Arbeitshose, die du sonst anhast.“

Xavier hatte schon mehrmals versucht, sich ihr zu nähern, auf sehr unschöne Weise. Einmal war seine Freundin Libby aufgetaucht und hatte ein Riesentheater gemacht … Samantha wollte gar nicht darüber nachdenken. Die meisten Menschen, die hier wohnten, schauten lieber weg, als zu helfen.

Er stand nun nah vor ihr, hob die Hand, strich ihr über Hals und Dekolleté. Ihr Herz raste. Gegen ihn hätte sie nicht die geringste Chance, er war trainiert und überragte sie um einen Kopf.

„Lass mich auch mal ziehen“, sagte sie betont locker, um ihn hinzuhalten.

Er ging sofort darauf ein, hoffte wohl, der Rausch mache sie gefügig. Samantha zog an dem Joint, inhalierte aber nicht, sondern trat einen Schritt zurück und blies den Qualm direkt auf den Rauchmelder an der Decke. Es dauerte nur Sekunden, dann schrillte der Alarm.

Xavier zuckte erschrocken zusammen, riss ihr den Joint aus der Hand. „Scheiße! Du Schlampe!“ Rasch trat er die Zigarette aus.

Samantha nutzte seine Unaufmerksamkeit und entwischte ins Treppenhaus. Sie flog fast die Stufen herunter, ließ ihm keine Möglichkeit, sie einzuholen. Er würde jetzt auch genug mit der Feuerwehr zu tun haben, denn das Brandsystem des alten Hochhauses war direkt mit der Wache verbunden.

Draußen schöpfte sie Luft, versuchte, sich wieder zu beruhigen, was ihr nur schwer gelang. Die Angst saß ihr noch im Nacken, ließ ihren Körper beben. Xavier hatte etwas Gefährliches an sich.

Die Worte ihrer Mutter hallten in ihr wider. Dieses Leben hier ist furchtbar, Sam. Versprich mir, dass du versuchst, irgendwie auszubrechen.

„Ich versuch es ja, Mum“, flüsterte sie.

Als Samantha die Sirene der Feuerwehr hörte, zog sie sich die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf und eilte durch den Regen zur Bushaltestelle.

 

*

 

Die Barbesitzerin Susann Mountain erwartete sie schon. „Du kommst zu spät, Sam! Alle anderen bedienen schon.“

„Entschuldigen Sie, ich wurde wegen eines Feueralarms im Haus aufgehalten.“

Mit ihren stark geschminkten Augen und dem pechschwarzen Haar ähnelte ihre Chefin Morticia aus der Fernsehserie The Adam’s Family. Sie hatte kein Verständnis für jegliche Art von Fehltritten, so unbedeutend sie auch sein mochten. Samantha war gerade mal drei Minuten zu spät, doch Mrs Mountains Blick bohrte sich in den ihren, und sie fürchtete schon, den Job zu verlieren.

„Mach heute eine Stunde länger, dann vergess ich das.“

„Ja, klar, gern, Mrs Mountain. Vielen Dank.“

Wie sehr Samantha diese Unterwürfigkeit hasste. Doch ohne diese Arbeit könnte sie kaum überleben. Außerdem respektierte sie die strenge Frau, denn sie beschützte ihre Mädchen. Die Kunden durften gucken und flirten. Anfassen war verboten.

Hastig hängte Samantha ihre feuchte Jacke an den Haken im Aufenthaltsraum und eilte an die Bar und schnappte sich ein Tablett. Sie zog die Blicke auf sich. Ihr außergewöhnlich helles Haar und das hübsche Gesicht kamen gut bei der Kundschaft an.

„Hier, bring das zu Tisch siebzehn.“ Darou stellte ihr die Getränke auf das Tablett, lächelte sie mit blitzweißen Zähnen an. Seine dunkle Haut schimmerte im Dämmerlicht der Theke.

Der weitere Abend verlief wie üblich. Samantha brachte Getränke und Snacks zu den Gästen, wusste sich geschickt durch die Menschenmenge der beliebten Bar zu schlängeln. Sie flirtete, lächelte aufreizend, zwinkerte den Männern zu. Es brachte ihr verstohlene Blicke und eine Menge Trinkgeld ein. Trotz allem fühlte sie sich hier wohl, sobald sie in die Rolle der verführerischen Sam geschlüpft war.

Erst als die letzten Gäste das Lokal verließen, kam wieder die wahre Samantha in ihr hervor. Sie seufzte leise und streifte ihre gedankliche Verkleidung ab wie eine alte Haut.

Alle Kellnerinnen zogen sich um und winkten zum Abschied. Darou stand hinter der Theke und spülte Unmengen von Gläsern.

„Gibst du mir bitte mal einen Lappen?“, fragte Samantha.

Darou reichte ihr ein feuchtes Spültuch und sah zu einem älteren Mann, der stur sitzen geblieben war, obwohl die Bar schloss.

„Soll ich ihm sagen, dass er gehen soll?“, fragte sie Darou, doch der schüttelte den Kopf.

„Lass ihn noch austrinken.“

Samantha wischte die Tische ab, schob die Stühle darunter und beobachtete heimlich den Fremden. Er verfolgte sie mit einem seltsamen Blick. Jemand tippte ihr auf die Schulter, und sie drehte sich erschrocken herum.

„Geh nach Hause, Sam“, sagte Elli, die ältere Frau, die noch die halbe Nacht lang in der Bar putzen würde, nachdem sie zugemacht hatten.

„Ich bin heute zu spät gekommen, ich soll dir helfen.“

„Die Chefin ist schon weg. Muss doch keiner wissen.“

Samantha sah zu Darou.

„Elli hat recht, geh nach Hause.“ Er wandte sich an den Mann, der immer noch am Tisch ausharrte. „Und Sie gehen bitte auch. Die Bar ist bereits geschlossen.“

Der Fremde nickte und richtete sich auf. Anstatt zum Ausgang steuerte er direkt auf Samantha zu. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Darou alarmiert hinter der Theke hervorkam.

Der Mann machte eine beschwichtigende Geste und holte einen Ausweis hervor. War er von der Polizei? Nein, auf der Karte stand: Timothy Smith. Privatdetektiv.

„Ich gehe sofort. Bitte nur eine Frage. Sind Sie die Tochter von Evelyn Green?“

„Wer will das wissen?“, fragte Samantha misstrauisch.

„Ich möchte nur einen Brief aushändigen.“

„An mich?“

„Sind Sie es?“

„Ja.“

„Der Brief war ursprünglich für Ihre Mutter bestimmt, aber ich weiß, dass sie letztes Jahr verstorben ist. Es war wirklich nicht leicht, Sie ausfindig zu machen.“

„Was für ein Brief?“

Der Mann holte aus der Innentasche seiner Lederjacke einen Umschlag hervor, reichte ihn Samantha. Irritiert betrachtete sie das aufgedruckte Logo des Absenders.

„Was ist das für eine Firma?“

„Mein Auftraggeber, eine Anwaltskanzlei.“

Der Privatdetektiv nickte zum Abschied und verließ ohne weitere Erklärungen die Bar.

Samantha starrte den Brief in ihrer Hand an.

„Hast du Probleme, Sam?“, fragte Darou besorgt.

„Keine, von denen ich wüsste.“

„Mach ihn auf!“, verlangte Elli energisch.

Mit einem tiefen Atemzug riss Samantha den Umschlag auf und überflog das formelle Schreiben.

„Was steht denn drin?“, fragte Elli und beugte sich näher.

Samantha sah verwirrt auf. „Eine Familie Seynford zitiert mich nach Cornwall, in ein Dorf namens Rockdove.“

„Und du kennst die Familie nicht?“ Darou zog skeptisch die Augenbrauen zusammen.

„Nie von ihnen gehört.“

„Und was machst du jetzt?“ Elli sprühte vor Neugierde.

Samantha zuckte mit den Schultern. „Ich habe noch keine Ahnung.“

Darou legte eine Hand auf ihren Arm. „Was immer du tust, sei vorsichtig.“

Sie nickte und schob den Brief in ihren Ausschnitt. Als sie ihre Jacke holen ging, dachte sie über diese seltsame Nachricht nach.

Wer, zur Hölle, sind die Seynfords?

 

 

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© Tanja Bern